Wieviel Unabhängigkeit braucht der Verwaltungsrat?
Zunehmende Regulierung
Im neuen Jahrtausend - und nicht zuletzt aufgrund der diversen Finanzkrisen - sind die Corporate Governance Regeln laufend weiterentwickelt worden. Sie betreffen auch die Unabhängigkeit der Verwaltungsratsmitglieder. Während der Swiss Code of Best Practice aus den Jahren 2003 und 2014 noch empfehlenden Charakter besitzt, hat die Finma mit dem Rundschreiben 2017/2 verbindliche Corporate Governance Regeln für Versicherungsgesellschaften erlassen. Demnach müssen deren Verwaltungsratsgremien aus mindestens drei Mitgliedern bestehen, wovon mindestens ein Drittel unabhängig sein muss. Die Corporate Governance Rating Agenturen werden mit der geschaffenen Transparenz und Vergleichbarkeit zusätzlichen Druck auch auf nicht spezifisch regulierte Branchen ausüben, ebenfalls vergleichbare Regelungen freiwillig umzusetzen.
Was macht die Unabhängigkeit eines VR-Mitglieds aus?
Die Unabhängigkeit eines Veraltungsrates wird üblicherweise in formelle und materielle oder in objektive und subjektive Unabhängigkeit eingeteilt. Die formelle Unabhängigkeit besteht aus einer Vielzahl von Kriterien wie z.B. die Nichtzughörigkeit zu Geschäftsleitung oder Revisionsstelle seit mindestens zwei Jahren, das Nichtüberschreiten einer Kapitalbeteiligungsschwelle, das Nichtvorhandensein einer Überkreuzverflechtung, eines Verwandtschaftsverhältnisses mit einem Mitglied der Geschäftsleitung oder einer Interessenvertretung von anderen Stakeholdern als den Aktionären (z.B. Gewerkschaften). Diese Kriterien lassen sich in der Regel einfach messen.
Formelle Unabhängigkeit
- Keine Kapitalbeteiligung von über 10%
- Mindestens 2 Jahre nicht für das Unternehmen gearbeitet
- Nicht verwandt mit Mitgliedern der Geschäftsleitung
- Keine Kreuzverflechtungen
- Mindestens 2 Jahre nicht mehr als Partner des Revisors tätig
Materielle Unabhängigkeit
- Fachliche Kompetenz
- Keine Interessenkonflikte
- Finanziell vom Mandat unabhängig
- Prestigemässig vom Mandat unabhängig
- Genügend Zeit für Ausübung des Mandates
Schwieriger verhält es sich mit der Prüfung der materiellen oder subjektiven Kriterien der Unabhängigkeit. Dazu zählen insbesondere die fachliche und intellektuelle Fähigkeit, einen Beitrag zur Lösung der wesentlichen Herausforderungen des Unternehmens zu leisten. Verfügt das betreffende Mitglied des Verwaltungsrates über genügend Zeit für sein Mandat und wird in der Unternehmung auch regelmässig weitergebildet, desto wahrscheinlicher ist diese Qualifikation in unserer kurzlebigen Zeit gegeben. Es geht für den Verwaltungsrat zudem darum, den Mut aufzubringen, in schwierigen Momenten kritische Fragen zu stellen, mit denen man sich im Gremium möglicherweise isoliert oder unbeliebt macht. Eine solche Haltung ist umso eher zu erwarten, wenn das betreffende Mitglied nebst Persönlichkeit auch finanzielle und prestigemässige Unabhängigkeit vom betreffenden Mandat aufweist. Es sollen beispielsweise keine unnötigen Interessenskonflikte entstehen, weil der Verwaltungsrat gleichzeitig für dieselbe Firma noch Beratungsmandate wahrnimmt.
Brauchen auch KMUs unabhängige Verwaltungsräte?
Für börsenkotierte Grossunternehmen ist eine Mehrheit an unabhängigen Verwaltungsräten ein absolutes Muss, insbesondere im Audit- und im Nomination & Compensation Committee. Von ihnen wird erwartet, dass sie ihren Unabhängigkeitsbegriff selbst definieren und diesen offenlegen. Es muss transparent dargelegt werden, nach welchen Kriterien sie ihre Verwaltungsratsmitglieder als abhängig oder unabhängig einstufen. Nicht regulierte KMU und nicht kotierte Familienunternehmen hingegen sind an diese Vorgabe nicht gebunden. Für sie stellt sich primär die Frage, ob die Rekrutierung von unabhängigen Verwaltungsratsmitgliedern überhaupt Sinn macht. Dies ist klar zu bejahen, sofern die richtige Person dafür gefunden wird. Die Chancen dafür erhöhen sich, wenn sich das zuständige Gremium ausreichend Zeit zur Erstellung eines soliden Anforderungsprofils nimmt und mit der Suche nicht erst in einer Krisensituation beginnt.
Mehrwert unabhängiger VR
- Kritischer Geist / Provokateur
- Mediator (z.B. bei Familienunternehmen)
- Modernisierer
- Erweiterer des Beziehungsnetzes
- Garant für Integrität
DER AUTOR
Martin Cantieni war bei Schweizer Banken und Versicherungen international tätig als M&A Manager, Corporate Secretary und Legal Counsel. Heute ist er Geschäftsführer von Cantieni Consulting AG sowie Unternehmer und aktiver Verwaltungsrat.
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